KoFoMi #17: STILLE

Musik ist ein Ereignis, das die ursprüngliche Stille unterbricht und schließlich wieder in Stille endet. Sie vermindert diese nicht, sondern gibt ihr vielmehr eine Form. Tibeter und Hindus betrachteten die Geburt des Klanges als ein religiöses Geheimnis, in das die Seele nicht unwürdig eintreten dürfe. Die Geburt des Klanges existiere nur für diejenigen, die, sich der ursprünglichen Stille bewusst, die verborgenen Quellen der Innerlichkeit in sich wachsen fühlen. Musik ist die Tochter der Stille, ....es liegt in der Abwesenheit von sich selbst, in der Musik ihre Erfüllung erreicht. Deshalb müssen Klänge verklingen und sterben, um der musikalischen Arbeit zum Leben zu verhelfen. (Gisele Brelet)

Der Begriff der Stille umfasst weit mehr als der musikalische Parameter der Pause und ist vielmehr mit dem der Musik Grund legend verbunden. Die Musik des 20. Jahrhunderts stand unter anderem im Zeichen der Emanzipation des Geräusches und der Stille. Allen voran war es John Cage, der die Stille als ein noch zu erforschendes Gebiet erkannte:

Ich hörte, dass Schweigen, dass Stille nicht die Abwesenheit von Geräuschen war, sondern das absichtslose Funktionieren meines Nervensystems und meines Blutkreislaufes. Ich entdeckte, dass die Stille nicht akustisch ist. Es ist eine Bewusstseinsveränderung, eine Wandlung. Dem habe ich meine Musik gewidmet. Meine Arbeit wurde zu einer Erkundung des Absichtslosen. (John Cage, um 1950).
Die Stille als Moment des sich Sammelns, der Einkehr und der Meditation ist zudem ein wesentlicher Kontrapunkt zur aktuellen schnelllebigen und lauten Zeit. Nach sechzehn KomponistInnenforen soll dieses Thema nun grundsätzlich für Innehalten und Neuorientierung stehen. Aus der Stille heraus entsteht Musik, - aus dieser Stille entsteht das Bewusstsein für aktuelle Bedürfnisse, entstehen Nachdenk- wie kreative Prozesse. Im Sinne der Erfahrung von John Cage, die Stille als Wandlung zu begreifen, wollen wir dieses Forum dazu nutzen, über das Hintergrundthema Stille die im aktuellen Informationszeitalter scheinbar redundant gewordene Ausgangsidee des Kofomi, die Kommunikation zwischen KomponistInnen, MusikerInnen und dem Publikum, in das umzuwandeln bzw. hinüberzuführen, das die heutige Situation wieder befruchten könnte, - in etwas, dqs heute – in Zeiten des zu Ende gehenden Überflusses - grundlegend fehlt.

Insgesamt könnte die Stille ein durch die neuen Technologien und Lebensstrukturen herausgefordertes Konzept sein, das nicht nur die geistige Dimension des Menschen zu verteidigen bzw. zu retten versucht (Gunter Stachel/schweigt ihr nicht, so bleibt ihr nicht), sondern – entsprechend zeitgenössischen

Strömungen in der Philosophie und Kunst – neue, dynamische Strukturen einer neuen Innerlichkeit zeitigen bzw. entwerfen.

Die Annahme, dass die Gegenwart aus der Zukunft gespeist werde, legt nahe, dass das Vergangene mit Gegenwart und Zukunft in einem dynamischen, wechselwirkenden Verhältnis steht. Ein zusammenfassender, aufarbeitender Blick auf die Vergangenheit des KoFoMi, auf 16 Jahre

KomponistInnenforum Mittersill, wäre in diesem Sinn sozusagen die Vorbereitung und Imagination des noch nicht Gewesenen, die Offenheit für das, was vor uns liegen könnte, sobald wir es zuzulassen im Stande sind.

Das Sammeln und Sichten aller in den vergangenen 4 x 4 Jahren im Kofomi aktiven Personen, aller im Rahmen des Kofomi entstandenen Werke, aller SymposiumsteilnehmerInnen und aller Beteiligten an den Begleitveranstaltungen, Symposien, der Gesprächsreihe Wohin? und der Sendereihe in der Radiofabrik, aller Tonaufnahmen, CD-Produktionen, Fotos und Videos, aller Texte und Dokumente, würde ein Bild davon geben, wie es um diese Zukunft, aus der unsere Gegenwart jeweils geschöpft wurde, bestellt war.

Ich möchte in einer Kultur der Stille leben, in der es vor allem darum ginge, die eigene Stimme zu finden. (Peter Bieri)

Über solche Prozesse, in denen das Beschreiben und Verstehen unserer selbst nicht in einer einflusslosen Bestandsaufnahme besteht, sondern auch eine innere Umgestaltung mit sich bringt, könnte man sagen: Wir arbeiten durch Selbstbeschreibung an unserer persönlichen Identität. Das tun wir auch, wenn wir Unbewusstes in Bewusstes überführen, indem wir es zur Sprache bringen. ... Um nicht nur in die Zukunft hineinzustolpern, sondern die Zukunft als etwas zu erleben, dem wir mit einem selbstbestimmten Entwurf begegnen, brauchen wir ein Bild von dem, was wir sind und was wir werden wollen – ein Bild, das in einem stimmigen Zusammenhang mit der Vergangenheit stehen muss, wie wir sie uns erzählen. (Peter Bieri)

In einem zweiten Teil einer so genannten Dokumentation werden wir dieser Sammlung an Daten eine Sammlung an Visionärem gegenüberstellen. Imaginäre Begegnungen, Versuche eines ersten Zugriffs auf die sich immer wieder erneut konstituierende Fülle des uns bevorstehenden Zeitraums.

Das 17. Kofomi als imaginäre Plattform des kontemplativen Innehaltens in Innenschau, Rückschau und Vision. Die Teilnehmenden als das Potential des Nach- und Vorausdenkens, als GeneratorInnen und Bewegungsmelder in der Phase des Stillseins.